Gottesdienst „Sternenkinder“ Wissen 1. Februar 2015
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Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt, Christus Jesus, unser Herr
Liebe Gemeinde,
Weihnachten — Weihnachten
ist es immer am Schlimmsten.
Alle Welt freut sich auf ein neugeborenes Kind — und meins?
Die ganze Welt drehte sich um mein Kind, als es sich angekündigt hatte!
Mein Herz war voll Liebe und mir lief der Mund über, am liebsten hätte ich ständig davon gesprochen.
Namen gingen mir durch den Kopf:
Friederike, Clara, Katharina, wenn es ein Mädchen wird.
Maximilian, Carl-Christian, wenn es ein Sohn werden sollte.
Ich stellte mir vor, wie sie aussehen
und was aus ihnen hätte werden können…
Und dann: dieser brennende Schmerz:
erst im Körper und dann in der Seele — bis heute.
Alle schweigen und bringen mich mit ihrer Haltung zum Schweigen.
Ich soll funktionieren – wie vorher – als wäre nichts geschehen…
Wo ist mein Kind?
Ich schaue mich um,
ich horche in mich hinein
Was war da in mir angelegt und ist nicht ins Leben gekommen?
Gott, was hast Du mit mir vor?
Ich suche nach anderen, denen es ähnlich ging.
Manchmal stehen in der Zeitung Todesanzeigen von Kindern,
Sie sind am Tag der Geburt oder wenig später gestorben,
manchmal haben sie ein paar Jahre gelebt.
Was mögen die Eltern durchgemacht haben!
Wie schwer ist eine solche Beerdigung!
Was kann Trost geben?
Über der Anzeige steht manchmal:
„Wenn du bei Nacht den Himmel anschaust, wird es dir sein, als lachten alle Sterne, weil ich auf einem von ihnen wohne…“
das Wort stammt von Antoine Saint-Exupery aus dem Buch
„Der kleine Prinz“
Was haben Kinder mit Sternen zu tun?
Die Weihnachtsgeschichte erzählt von einem Stern, weithin sichtbar, der die Geburt des Gotteskindes ankündigt und sogar den Weg dorthin weist.
Daher rührt es, dass das Geburtsdatum mit einem * versehen wird.
Das Alte Testament erzählt vom Stammvater Abraham. Gott verheißt ihm einen Sohn und wählt dabei das Bild vom Sternenhimmel.
„Sieh zum Himmel und zähle die Sterne. Kannst du das? So zahlreich sollen deine Nachkommen sein!“
Und das tröstliche Kinderlied „Weißt du wieviel Sternlein stehen?“ hat seinen Ursprung im Psalm 147. Da lesen wir:
„Gott zählt die Sterne und nennt sie alle mit Namen“
In heutiger Zeit werden Kinder, die vor, während oder nach der Geburt versterben, also bildlich gesprochen, den „Himmel“ erreicht haben, noch bevor sie das Licht der Welt wirklich erblickt haben, als Sternenkinder bezeichnet.
Der Begriff Sternenkinder richtet den Fokus auf das Kind selbst und berücksichtigt die intensive Bindung, die Mütter und Väter bereits zum ungeborenen Kind entwickeln und die deswegen oft intensive und langanhaltende Trauer, die ein solcher Tod verursacht.
Die vermeintlich sachliche Bezeichnung Fehlgeburt oder Totgeburt wird einer solchen gefühlsmäßigen Bindung zu dem verstorbenen kleinen Wesen nicht gerecht.
Erschwerend kommt hinzu, dass es häufig keinen Ort für die Trauer gibt, so wir man es sonst von Gräbern in der Familie kennt.
Heute gibt es zwar die Möglichkeit auch Kinder unter 500 Gramm Geburtsgewicht zu bestatten – und das kann sehr hilfreich sein für den Weg durch die Trauer.
Aber je nach Situation hat man buchstäblich nichts in der Hand
Und steht mit leerem Bauch und leerer Seele hilflos und traurig da.
Ludwig Uhland hat das in Worte gefasst hat:
Du kamst, du gingst mit leiser Spur,
ein flüchtiger Gast im Erdenland;
Woher? Wohin?
Wir wissen nur:
Aus Gottes Hand in Gottes Hand
Fragen und Schmerz treiben einen um.
Wie immer, wenn es um den Tod eines Menschen geht, kommen Schuldgefühle auf:
FEHLGEBURT — war es mein Fehler?
Was habe ich falsch gemacht?
Schuldgefühle und Schuld möchte ich trennen.
In der Regel gibt es kein fehlerhaftes Verhalten, was hier zum Tod geführt hat. Es ist oft einfach nur ein schicksalhaftes Geschehen. Manchmal durch Untersuchungen zu erklären, häufig aber eben nicht.
An der Warum-Frage reibt man sich auf und bekommt doch keine Antwort.
Manchmal gelingt es mir im Gespräch mit Müttern und Vätern den Blick nach vorne zu richten, die Energie dahin zu lenken, das Geschehen zu bewältigen,
statt bei den Schuldgefühlen und der Warum-Frage stehen zu bleiben.
Aus dem WARUM kann ein WOZU werden.
Da kann die Ahnung aufkeimen:
Vielleicht sind mein Kind und ich bewahrt worden von Gott vor
Leid und einem Schicksal, das wir nicht hätten meistern können.
Das alles braucht viel Zeit, Gespräche und Austausch.
Junge Frauen suchen den Austausch heute im Internet.
Mich fasziniert, wie sie damit umgehen und sich selbst bezeichnen:
Sie grüßen sich als Sterneneltern, nehmen Anteil am gegenseitigen Schicksal und unterschreiben zum Beispiel
„Jessica mit Ben (*/+2.12.2013 SSW19) tief im Herzen
und Lotta 3 Jahre alt fest an der Hand“
Damit bezeichnen sie ihre Identität. Und das berührt mich.
Nicht selten beteiligen sich auch Väter an diesem Austausch und erzählen ausführlich ihre sehr persönliche Geschichte.
Dabei bleibt dennoch vieles anonym.
In anderen Generationen hat es das früher nicht gegeben.
Was blieb den Frauen damals? Schweigen?
Was empfanden ihre Männer zu der Zeit? Sprachlosigkeit?
Was erfuhr die übrige Familie? NICHTS
Man wollte Haltung bewahren und das Gesicht nicht verlieren.
Es war so vieles tabu.
Wenn man heute danach fragt, lautet die Antwort, das war eben so.
Ich denke an Gespräche mit einem Vater, der vor über 30 Jahren ein neugeborenes Kind hat hergeben müssen. Er trauert noch heute.
Und dann gibt es auch diejenigen, die selbst im hohen Alter miterleben, dass ihre längst erwachsenen Kinder vor ihnen sterben,
durch einen Unfall, an einer Krankheit oder gar durch die eigene Hand.
Wie verkraften Eltern das, wenn ein Kind stirbt?
Sicher, es kann in einem Menschenleben viel Leid geben, aber ein Kind betrauern zu müssen, ist nach meiner Beobachtung das Schlimmste, was einem im Leben geschehen kann, unabhängig davon, wie alt das Kind hat werden können und wie alt man selbst ist.
Was kann uns das Evangelium, die gute Nachricht nun dazu sagen?
Der Stern, der vom Leben kündet, hat über vielen Hausdächern gestanden.
Ich glaube, dass es jedes mal Gottes Wille ist, wenn das Leben beginnt, weil er der Schöpfer allen Lebens ist.
Ich glaube, dass jedes noch so kleine Wesen auch von Gott eine Aufgabe bekommt, die es allein mit seiner Entstehung erfüllt.
Ich weiß nicht, warum das eine Leben so früh und so jäh endet, und das andere nicht.
Aber ich vertraue zutiefst darauf, dass jedes dieser geliebten Kinder bei Gott geborgen ist und bleibt bis wir selbst in die Ewigkeit gerufen werden.
Weihnachten — Weihnachten (sagte ich zu Beginn)
ist es immer am Schlimmsten.
Alle Welt freut sich auf ein neugeborenes Kind — und meins?
WEIHNACHTEN — kann das im neuen Jahr anders werden?
Es könnte sein, weil ich neu darüber nachdenken und vielleicht doch mit anderen ins Gespräch kommen kann
Mein Kind und ich sind nicht verloren, bei Gott nicht!
Zum Ausdruck bringt das das alte Kinderlied auf seine Weise.
Weißt Du wieviel Sternlein stehen?
„Kennt auch dich und hat dich lieb“ das gilt dem Kind meiner Sehnsucht und es gilt auch mir selbst. AMEN
01.02.2015 Pfarrerin J. Braun-Meinecke